Forschungsprojekte

Aktuelle Projekte

 

Karl-Jaspers-Gesamtausgabe (seit 2012)

Um den weitgesteckten Zusammenhang des Jaspers’schen Denkens, wie er sich aus den Druckschriften, dem Nachlassmaterial und den zahlreichen Briefwechseln ergibt, offenlegen und würdigen zu können, wird nun eine Gesamtedition seines Werkes erstellt, die alle relevanten Texte in ihrem Kontext erschließt und als systematisch vernetztes Ganzes verfügbar macht. Dazu werden insbesondere zusammenfassende und neue Forschungsfragen stellende Kommentare und Dokumentensammlungen beitragen.

Die Herausgabe der kommentierten Karl-Jaspers-Gesamtausgabe (KJG) erfolgt in Kooperation mit der Karl Jaspers-Stiftung (Basel) durch die am Philosophischen Seminar und am Zentrum für Psychosoziale Medizin der Universität Heidelberg angesiedelte Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften sowie die in Oldenburg angesiedelte Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

 

"Dynamiken der Oikeiosis. Vertrautheit und Vertrauen als Grundelemente einer intersubjektiven Anthropologie und ihre Bedeutung für die Psychopathologie" (seit März 2023)

Vertrautheit und Vertrauen bilden eine unerlässliche Grundlage des menschlichen Zusammenlebens. Vertrautheit manifestiert sich in unserer habitualisierten, affektiv-atmosphärisch geprägten Beziehung zur Umwelt, Vertrauen in unseren kommunikativen und affektiven Interaktionen. Nur auf ihrer Grundlage kann die intersubjektiv vermittelte Weltaneignung gelingen, die die für Menschen typische Entfaltung von Potentialen und Beziehungen ermöglicht, und die auch als Oikeiosis („Einhausung“) bezeichnet werden kann. Diese Basis des Zusammenlebens wird in einer zunehmend fragmentierten komplexen Lebenswelt tendenziell prekär. Daher ist es das Ziel des Forschungsprojektes, die Phänomenologie und den Zusammenhang von Vertrautheit und Vertrauen zu klären. Die Hypothese ist, dass Vertrautheit und Vertrauen in einer wechselseitigen Dynamik stehen, die für gemeinsame Sinnbildungsprozesse konstitutiv ist. In diesen Prozessen werden die Mit- und Umwelt geformt und erhalten ihre auch kultur- und milieuspezifische Signifikanz für die Interaktionspartner. Vertrautheit und Vertrauen gehen notwendig mit Vulnerabilität einher. Daher lässt sich eine gelingende von einer scheiternden Dynamik von Vertrautheit und Vertrauen unterscheiden. Die gelingende Dynamik beschreibt das Projekt als Oikeiosis. Die scheiternde tritt in Entfremdungsphänomenen (z. B. Verschwörungsmythen) bis hin zum paranoiden Wahn zu Tage, welche als Kontrastphänomene analysiert werden. Die Dynamik und Gelingensbedingungen von Vertrautheit und Vertrauen zeigen sich in kognitiven und affektiven Ausprägungen, die in zwei eng kooperierenden Teilprojekten untersucht werden sollen. (1) Das erste Teilprojekt analysiert die konstitutive Rolle von Vertrautheit und Vertrauen am Beispiel des Sprachverstehens und des gemeinsamen Weltbezuges. Dafür geht es vom Problem der radikalen Interpretation aus und analysiert die Verständnis ermöglichende Rolle von Vertrautheit und Vertrauen in kommunikativen Sinnbildungsprozessen. Kontrastierend wird der Verlust von Vertrautheit und Vertrauen im Phänomen des schizophrenen Wahns untersucht. (2) Das zweite Teilprojekt analysiert das Phänomen der affektiven Einstimmung in soziale Umwelten. Es soll gezeigt werden, dass Vertrautheit und Vertrauen in ihrer qualitativen Dimension eine notwendige Bedingung für kollektive affektive Einstellungen darstellen. Mit phänomenologisch-enaktiven Methoden soll dabei das Konzept der „affektiven Nischenkonstruktion“ fundiert werden. Kontrastierend untersucht das zweite Teilprojekt Formen kollektiver affektiver Entfremdung und Vertrauensverluste, in denen sich ein Defizit relationaler Autonomie zeigt. Methodisch stützt sich das Forschungsprojekt auf vier Säulen: (A) phänomenologische Intentionalitätsanalysen, (B) Modelle des Enaktivismus, (C) Begriffsanalysen der Sozialepistemologie und Philosophie des Geistes und (D) phänomenologische Psychopathologie.

Gefördert von der DFG. Zur Projektzusammenfassung (engl./dt.): hier.

 

Abgeschlossene Projekte

Marsilius-Projekt: „Verkörperung als Paradigma einer evolutionären Kulturanthropologie“ (2013-2019)

Im Anschluss an die “embodied cognitive science” fragt das Marsilius-Projekt „Verkörperung als Paradigma einer evolutionären Kulturanthropologie“, inwiefern die spezifische Geistigkeit und Kulturfähigkeit des Menschen in Strukturen seiner Leiblichkeit begründet liegen, die sich evolutionär herausgebildet haben und dabei umgekehrt von der Kulturentwicklung beeinflusst wurden. Im Paradigma der Verkörperung soll sich der traditionelle dualistische Gegensatz von Natur und Kultur, Körper und Geist zu einem Prozess verflüssigen, in dem die beiden Momente ineinander verschränkt sind und sich wechselseitig konstituieren.

 

Erkenntnis durch Interaktion: Zur Entwicklung von Person-, Objekt- und Selbstwissen (2012-2015)

In diesem von der Volkswagenstiftung geförderten Projekt erforschen Philosophen, Psychologen und Psychiater gemeinsam eine menschliche Fähigkeit, der für die Verständigung in modernen Gesellschaften eine Schlüsselrolle zukommt: die Fähigkeit, im sozialen Miteinander unterschiedliche Perspektiven flexibel einnehmen zu können. Perspektivenbeweglichkeit ermöglicht uns das Lernen von anderen, das gemeinsame Erkennen der Welt, aber auch ein Verständnis unserer selbst. Für die Entwicklung dieser Schlüsselkompetenz sind soziale Interaktionserfahrungen insbesondere in der frühen Kindheit entscheidend. Im Projekt wird mit theoretischen und empirischen Ansätzen untersucht, welche Voraussetzungen die Entwicklung von Perspektivenverständnis und -beweglichkeit bei Kindern begünstigen, unter welchen Bedingungen sie aber auch beeinträchtigt sein kann (z.B. Autismus, postpartale Depressionen). Durch die Zusammenführung von Erkenntnissen unterschiedlicher Disziplinen soll ein innovativer Ansatz zur Beschreibung von Perspektivenbeweglichkeit entwickelt werden, der für die künftige Gestaltung sozialer Interaktionen in allen Phasen des Lebens und auf allen gesellschaftlichen Ebenen bedeutsam ist.

 

Towards an Embodied Theory of Intersubjectivity (TESIS) (2011-2015)

TESIS („Towards an Embodied Science of InterSubjectivity“) ist ein „Initial Training Network“, gefördert gefördert im Rahmen des 7. Rahmenprogramms (Marie Curie Actions) durch die EU. Das Vorhaben zielt darauf ab, die gegenwärtige Wissenschaft durch die interdisziplinäre Erforschung von zentralen, subjektiven Prozessen sowohl zwischen Personen, aber auch Personen und Objekten mit dem Ansatz der Leiblichkeit zu bereichern. Durch die fächerübergreifende Integration von Disziplinen, den Austausch von Forschern und dem Aufbau eines Forums interdisziplinärer Erkenntnisse können Beschränkungen individualistischer und rein kognitivistischer Ansätze überwunden werden. Natur- und geisteswissenschaftliche Perspektiven sollen zu ganzheitlichen Erkenntnissen verschmolzen werden, die zu einem tieferen Verständnis von „Zwischenmenschlichkeit“ beitragen und zu einer besseren Behandlung von seelischen Krankheiten mit der Symptomatik einer beeinträchtigten Zwischenmenschlichkeit oder Leiblichkeit führen.

TESIS hat einen Schwerpunkt in der

(a) Erforschung neurowissenschaftlicher Parallelen in Interaktionen,

(b) Entwicklung sozialer Fähigkeiten in Interaktionen mit anderen Menschen und Objekten,

(c) Erforschung inter-subjektiver Faktoren der Psychopathologie und ihrer Behandlung und

(d) kultureller Verhaltensweisen und Praktiken von Gruppen und Institutionen.

TESIS verfolgt dabei die Integration empirischer und theoretischer Forschungsergebnisse zu einer ganzheitlichen Betrachtung der verkörperten Inter-Subjektivität des Menschen.

 

Tagung: Phänomenologie der Bilderfahrung anhand von Werken der Sammlung Prinzhorn (2012)

„Phänomenologie der Bilderfahrung - anhand von Werken der Sammlung Prinzhorn“, dieses Thema beschäftigte die Teilnehmer der gleichnamigen Tagung, die am 3. und 4. Mai 2012 in der Bibliothek der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg sowie in der Sammlung Prinzhorn stattfand. Eine Auswahl der dort gehaltenen Vorträge sowie Gastbeiträge vereint der daraus entstandene Sammelband (s.u.). Gegenstand der Untersuchungen und gemeinsamen Bildbetrachtungen waren Werke der Sammlung Prinzhorn; daran knüpften sich methodische Überlegungen zur Bilderfahrung im Allgemeinen an. Die Tagung wurde gefördert von der Volkswagenstiftung.

Publikation: Frohoff, S., Fuchs, T., Micali, S. (2014) (Hrsg.). Bilderfahrung und Psychopathologie. Phänomenologische Annäherungen an die Sammlung Prinzhorn. Paderborn: Fink.

 

Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Interdisziplinäre Perspektiven auf die Entwicklung sozial induzierter Fähigkeiten (2008-2011)

Die Fortschritte der Neurowissenschaften erstrecken sich zunehmend auf die Erforschung zentraler menschlicher Eigenschaften wie Subjektivität, Handlungs- und Sprachvermögen, Empathie und Intersubjektivität. Doch die bloße Zuordnung einzelner Funktionen zu bestimmten Hirnarealen sagt uns noch nichts über die Bedeutung von Wechselwirkungen mit der sozialen Umwelt, in welcher sich solche Fähigkeiten und die dazugehörigen Hirnfunktionen überhaupt erst herausbilden können. Bedeutende Fortschritte auf diesem Gebiet sind daher nur durch interdisziplinäre Forschung zu erwarten, bei der die Erforschung des Gehirns, seiner Funktionen und seiner Entwicklung um kultur- und sozialwissenschaftliche Ansätze erweitertet wird.

Das von der VW-Stiftung im Zeitraum 2008-11 geförderte Forschungsprojekt soll einen Beitrag dazu leisten, die Verschränkung von Biologie und Kultur in der menschlichen Ontogenese zu erforschen. Es geht davon aus, dass das Gehirn als ein „Beziehungsorgan“ fungiert, das die sozialen Interaktionen vermittelt und umgekehrt von ihnen maßgeblich geprägt wird.

Die beteiligten Wissenschaftler vertreten die Fächer Philosophie, Psychiatrie, Entwicklungs- und Biopsychologie. Die Teilprojekte untersuchen im Einzelnen

  • die Rolle der sozialen Interaktion für die Entwicklung von Selbstbewusstsein;
  • die Entwicklung der 2. Person-Perspektive in der verkörperten Interaktion;
  • die Entwicklung des sozialen und Objektlernens in der frühen Kindheit;
  • Störungen dieser Entwicklung im Rahmen von postpartalen Depressionen und frühkindlichem Autismus.

 

Marsilius-Projekt: „Menschenbild und Neurowissenschaften“ (2008-2011)

Das neurowissenschaftliche Projekt der Naturalisierung des Geistes ist inzwischen soweit fortgeschritten, dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Gehirn und Person, nach den Grenzen personaler Freiheit ebenso wie nach den Grenzen möglicher Eingriffe in das Gehirn stellt. Das Projekt wird sich mit der Thematik unter drei Aspekten auseinandersetzen: 1. Auswirkungen der Erkenntnisse der Hirnforschung auf die gesellschaftliche Praxis in bestimmten Einzeldisziplinen; 2. Neurobiologische Bedingungen personaler Autonomie; 3. Freiheit und Determinismus.

 

Disorders and Coherence of the Embodied Self (DISCOS) (2007-2011)

Die Debatten um das Selbst, die sich in den letzten Jahren zwischen Neurowissenschaften, Psychologie und Philosophie entwickelt haben, sind keineswegs nur von theoretischer Bedeutung. Sie haben auch Konsequenzen für den klinischen Umgang mit Störungen des Selbst von den somatoformen Störungen über die Borderline-Störung bis zur Schizophrenie. Die Tatsache, dass das Selbst immer auch ein körperliches ist, stellt ein wichtiges Bindeglied dieser verschiedenen Ansätze dar und inspirierte das europäische Marie-Curie Graduiertenkolleg “Disorders and Coherence of the Embodied Self“ (DISCOS), ein interdisziplinäres Konsortium von 10 europäischen Forschungseinrichtungen.

Das Projekt verfolgt die verschiedenen Facetten des verkörperten Selbst in theoretischer und klinischer Perspektive. Beteiligt sind philosophische, neurobiologische, entwicklungspsychologische, psychiatrische und psychosomatische Institutionen. Ein erstes Ziel des Projekts liegt darin, sich über Unterschiede im Verständnis des Selbst und zu verständigen: Ist z.B. das Selbst nur die Illusion eines Gehirns oder unhintergehbarer Ausdruck unserer Subjektivität? Weiter kommt der Erforschung des Zusammenspiels von biologischen und psychosozialen Faktoren für die Bildung eines kohärenten Selbst besondere Bedeutung zu. Schließlich besteht ein übergeordnetes Ziel darin, einen integrativen Rahmen für die häufig zersplitterten einzelwissenschaftlichen Zugänge zu entwerfen, die unsere Forschungslandschaft heute prägen.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 22.05.2023
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