Gadamer-Professur 2005:

Horst Bredekamp (Berlin)

 

Geboren 1947, studierte Horst Bredekamp Kunstgeschichte, Archäologie, Philosophie und Soziologie in Kiel, München, Berlin und Marburg. 1982 wurde er auf seine erste Professur in Hamburg berufen, seit 1993 wirkt er als Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist ferner Permanent Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Seine Laufbahn wird bereichert durch Gastaufenthalte in Princeton, Los Angeles und Budapest.
Für sein Wirken wurde er u.a. mit dem Aby-M.-Warburg-Förder-Preis der Stadt Hamburg und dem Sigmund-Freud-Preis der deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet.

Mit seinen Studien zur Kunst der Renaissance und des Manierismus hat sich Bredekamp weithin Anerkennung verschafft, jedoch widmet er sich in der Tradition von Forschern wie Aby Warburg und Erwin Panofsky nicht nur der "Kunst" im engeren Sinne, sondern dem Gesamtbereich der Bildlichkeit. Angesichts der gegenwärtigen kulturellen Dominanz des Bildes, so eine seiner zentralen Forderungen, darf sich die Kunstgeschichte nicht nur mit den "Klassikern" der bildenden Kunst befassen; sie muss sich vielmehr als "historische Bildwissenschaft" neu definieren und sich auch mit den Bildern der Medien oder mit naturwissenschaftlichen Bildprodukten auseinandersetzen.

Ein besonderes Interesse Bredekamps gilt der wechselseitigen Beeinflussung von Kunst und Wissenschaft. Durch die Betonung der bildlichen Dimension wissenschaftlicher Erkenntnis hat er einen neuen Blick auf zentrale Kapitel der Geistesgeschichte ermöglicht, jedoch auch den oft unterschätzten Einfluss der Bilder in den modernen Naturwissenschaften und dessen problematische Konsequenzen für die Objektivität wissenschaftlicher Ergebnisse ins Bewusstsein gerufen.

Mit seinen Überlegungen zu den bildlich-visuellen Grundlagen des Verstehens wandelt Bredekamp auf den Spuren von Gadamers philosophischer Hermeneutik.



 

Iconic turn

Angesichts der zunehmenden "Bilderflut" unserer Tage hatte u.a. Gottfried Boehm unter dem Schlagwort des iconic turn bereits vor einigen Jahren zur methodischen Schärfung bildlicher Analysemittel aufgerufen. Dem schließt sich Bredekamp an: In Anbetracht der "Hegemonie der Bilder", die unsere Kultur in wachsendem Maße beherrschen und die Dominanz der Sprache in Frage stellen, ist analog zur "Alphabetisierung" eine "Ikonisierung" der Bevölkerung erforderlich.



 

Kunstgeschichte als historische Bildwissenschaft

Die adäquaten Methoden, um die Bilder, die unsere Lebenswelt prägen, der kritischen Analyse zugänglich zu machen, kann die Kunstgeschichte liefern. So richtet Bredekamp an sein Fach die Aufforderung, sich verstärkt als "historische Bildwissenschaft" zu verstehen und den eigenen Gegenstandsbereich auf alle Erscheinungsformen der Bildlichkeit und ihrer kulturellen Wirkungen zu erweitern.
Von dem oftmals heraufbeschworenen "Ende der Kunstgeschichte" kann mithin nicht mehr die Rede sein. Eine reformierte Kunstgeschichte kann vielmehr zu einer Art "Königsdisziplin" werden und den Stellenwert einnehmen, der nach dem linguistic turn der Sprachwissenschaft zugesprochen wurde.



 

Kunst und Wissenschaft

In seinen Studien zu Galileo, Hobbes und Leibniz hat Bredekamp die Bedeutung bildhafter Anschauung in der Geschichte der Naturwissenschaften wie auch in Philosophie und politischer Theorie verdeutlicht. Das Anliegen, die innere Verwandtschaft zwischen Kunst und Wissenschaft aufzuzeigen, verfolgt er auch in seinen Arbeiten zu den Kunstkammern des 16.-18. Jahrhunderts. In diesen sieht er den engen Zusammenhang beider Bereiche zum Ausdruck gebracht, der sich in den modernen Wissenschaften, die ihre Ergebnisse mit Hilfe moderner bildgebender Verfahren oftmals gleichsam "ästhetisch" inszenieren, ebenfalls erkennen lässt.
Die Bedeutung von Bildern in den Naturwissenschaften, so weist Bredekamp auf, ist größer als je zuvor: Mit der zunehmenden Abstraktheit der Forschungsgegenstände sind die modernen Naturwissenschaften auch in immer höherem Maße auf technische Bildgebungsverfahren angewiesen, in manchen Bereichen wie der Nanotechnologie dienen sogar allein technische Bilder als Forschungsgrundlage, während das eigentliche Untersuchungsobjekt unerkennbar ist.
Im Hintergrund steht dabei ein seit dem Aufkommen der Fotografie verbreiteter Bildbegriff, der dieses als bloße Illustration, als authentisches Abbild der Wirklichkeit betrachtet. Genau dies entlarvt Bredekamp als Illusion: Kein Bild ist bloße Illustration. Gerade die Bilder, die uns am "authentischsten" erscheinen, sind oftmals das Ergebnis massiver technischer Konstruktionen. Bredekamp spricht hier vom "Disjunktionsprinzip naturwissenschaftlicher Darstellung": Je natürlicher ein Gegenstand in der Wiedergabe erscheint, desto stärker wurde sein Bild konstruiert.



 

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 28.05.2014