Gadamer-Professur 2004: Jan Assmann

Die "Mosaische Unterscheidung"

Laut Assmann ist die "Mosaische Unterscheidung" ein Revolutionsakt von umfassender Bedeutung: hierin ereignet sich die Abwendung vom Polytheismus zum Monotheismus. Mit dem Religionsstifter Moses verknüpft sich das Prinzip der Unterscheidung in wahre und falsche Religion. Hierin löst das Denken der einen exklusiven Wahrheit in Gestalt des einen wahren Gottes das Erleben einer Vielheit von Göttern ab. Als regulative Idee prägt diese Unterscheidung Welt- und Selbstbild des Menschen. Alle monotheistischen Weltreligionen sieht Assmann als Kinder dieser menschheitsgeschichtlichen Revolution, die sich im 14. Jahrhundert v. Chr. erstmals in Ägypten abzeichnete und schließlich mit dem Auszug Israels aus Ägypten seine noch heute kulturhistorisch prägende Gestalt gefunden hat. Das Kernstück der "Mosaischen Unterscheidung" ist, dass der Monotheismus alle anderen Religionen aus dem Bereich der Wahrheit ausschließt und sich von ihnen absetzt. In der antagonistischen Kraft der monotheistischen Religion, mit der sie sich vom falschen Glauben abgrenzt, liegt sowohl die Gefahr zur gewaltsamen Gegenüberstellung, als auch die Chance zum gemeinsamen Dialog. In letzter Konsequenz eröffnet die "Mosaische Unterscheidung" Spielräume für Toleranz und Verständigung. Sie befreit den Menschen zur moralischen Verantwortung.

Nicht die Unterscheidung zwischen dem Einen Gott und den vielen Göttern erscheint mir das Entscheidende, sondern die Unterscheidung zwischen wahr und falsch in der Religion.

Die Mosaische Unterscheidung führt einen neuen Typus von Wahrheit ein: die absolute, geoffenbarte, metaphysische oder Glaubenswahrheit.


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Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 23.05.2011
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